Michael Pitz
Rhythmus-Shooter vs. Shooter mit Rhythmus
Zwei fast zeitgleich veröffentlichte Shooter buhlen um die Aufmerksamkeit von Genrefans. Beide setzen auf Rhythmus, nur einem gelingt es, den Takt zu halten.

Boom der Boomer Shooter
Die Renaissance der Boomer Shooter nimmt kein Ende. Je nachdem, wie tief ihr in letzter Zeit in den online stattfindenden Games-Diskurs eingetaucht seid, wundert ihr euch vielleicht über den Begriff. »Boomer Shooter«. Noch vor ein paar Jahren hätte man wohl von Classic Shooter, Classic FPS oder einfach Ego-Shootern gesprochen. Gemeint sind Spiele wie Doom (1993), Quake (1996) und Duke Nukem (1991); ihr kennt sie, ihr liebt sie … wahrscheinlich.
Boomer Shooter ist ein alberner Name für dieses Genre, der trotzdem (irgendwie) Sinn ergibt. Er impliziert, dass diese Spiele heute hauptsächlich von der Boomer-Generation (geboren zwischen 1946 und 1964) gespielt werden, da sie Titel wie Doom und Co. »zu ihrer Zeit« für sich entdeckt haben. Dabei dürfte die Gruppe der Personen aus Generation X (1964–1979) deutlich größer sein, aber da X-Shooter weniger einprägsam ist und da viele heute, wenn sie von Boomern sprechen, Menschen meinen, die generell älter als sie selbst sind, bleibe ich dabei: Metal: Hellsinger (2022) und Prodeus (2022) sind Boomer Shooter – und genau diese beiden Neuerscheinungen treffen sich heute in der Arena.
Die beiden Titel gesellen sich zu anderen Genrekollegen, die das Gefühl klassischer Ego-Shooter wieder aufleben lassen, ohne auf jegliche Komfortfunktionen zu verzichten, die moderne Videospiele mit sich bringen. Speicherpunkte, Tutorials und ein Leveldesign, in dem man sich ohne Trial-and-Error zurechtfindet … Metal: Hellsinger, Prodeus, genau wie andere Boomer Shooter der letzten Jahre wie das Reboot von Doom (2016) sind so designt, dass sie alte wie neue Spieler:innen ansprechen.
Metal: Hellsinger – Rhythmus mit Blut

Hinter dem Namen Metal: Hellsinger verbirgt sich genau das, was ich erwartet habe: Ein Shooter mit Metal-Soundtrack, bei dem ich mich durch die Hölle ballere – acht Höllen, um genau zu sein. Meinen Weg pflastere ich mit allerhand Dämonen-Gesocks, das dumm genug war, sich meinen unterentwickelten Shooter-Skills in den Weg zu stellen. So weit, so Standard. Was das Spiel von anderen Vertretern des Genres unterscheidet: Es ist ein Rhythmus-Shooter – so betiteln die Entwickler Metal: Hellsinger zumindest auf ihrer Webseite. Doom trifft auf Guitar Hero, quasi.
Die Idee ist nicht neu, 2015 erschien beispielsweise BPS: Bullets Per Minute, das Metal: Hellsinger stark ähnelt, aber weniger ausgereift wirkt. In letzterem, das ich zur Veröffentlichung angespielt und gestern beendet habe, bekämpfe ich Dämonen zu Musik: Schießen, nachladen, Spezialfähigkeiten einsetzen … alles ordne ich dem Takt unter. Der wird mir rund um das Fadenkreuz meiner Waffe auch visuell dargestellt. Praktisch für alle, die kein ausgeprägtes Taktgefühl haben, für mich zum Glück kein Problem, schließlich liegen mir Spiele wie Guitar Hero und Rhythm Heaven.
Ich korrigiere: Kein Problem, dachte ich.

Kann ich mich bei letzteren auf eine Sache konzentrieren, nämlich diese eine Sache im Takt zu tun, erwartet Metal: Hellsinger astreines Multitasking von mir. Ich ziele und schieße, dazu kommen das Nachladen, Ausweichen, Gesundheitsmanagement, Spezialfähigkeiten sowie die Notwendigkeit, den Überblick über die Gegnerhorden zu behalten und mich clever zu positionieren.
Bin ich erfolgreich, sprich gelingen mir diese Aktionen im Takt, steigere ich meinen Punktemultiplikator. Das ist nicht nur für die Highscorejagd relevant, sondern verhilft dem Soundtrack zu voller Größe. Je besser ich mich schlage, desto mehr Instrumente setzen ein, und erst wenn der höchste Multiplikator erreicht ist, wird der Song des aktuellen Levels durch Gesang komplettiert. Dann schießen Feuerfontänen aus dem Boden, durch die ich mich wie auf einem Konzert von Rammstein fühle. In diesem Moment macht Metal: Hellsinger unverschämt viel Spaß. Alles läuft im Rhythmus ab; der Flow ist nahezu perfekt.
Metal-Soundtrack mit bekannten Gästen
Die Musik aus dem Spiel wurde von den Komponist:innen Two Feathers (Elvira Björkman und Nicklas Hjertberg) geschrieben und produziert. Jedes der Lieder wurde gemeinsam mit bekannten Künstler:innen aus vielen Bereichen des Metals aufgenommen wie Serj Tankian (System of a Down) und Alissa White-Gluz (Arch Enemy).
Wird der Flow unterbrochen, zerbricht die Maske aus Spielspaß. Zum Vorschein kommt ein Shooter mit offensichtlichen Schwächen: Die Waffenauswahl ist klein, die Gegnerauswahl nicht abwechslungsreich genug, der Levelaufbau immer gleich und die Bosse sehen nicht nur nahezu identisch aus, der Kampf gegen sie fühlt sich über die gesamte Spielzeit hinweg gleich an. Je nach Schwierigkeitsgrad hakt man das finale, achte Level nach zwei bis vier Stunden ab.
Unterbrochen wird der Flow in meinem Spieldurchlauf auf zwei Arten.
Variante 1
Ich bin gewissermaßen selbst Schuld. Die Herausforderung im Spiel liegt eben darin, den Takt zu halten. Gelingt mir das nicht, bestraft mich das Spiel, indem das Kernfeature wegfällt, das maßgeblich für den Spielspaß sorgt, und das es von anderen Vertretern des Genres unterscheidet. Jetzt denkt ihr euch womöglich: Aber liegt der Reiz des Spiels nicht darin, eben diese Hürde zu überwinden? Zu üben, bis man den Rhythmus über ein gesamtes Level hinweg aufrechterhalten kann? Teils stimmt das auf jeden Fall, das Spiel ist sogar darauf ausgelegt, indem es mich dazu anspornt, Highscores zu jagen – und mehr Punkte erhalte ich eben dadurch, im Takt zu bleiben und Schaden zu vermeiden. Mir stellt sich hier aber die Frage, ob es dafür nicht einen besseren Unterbau bräuchte, in Form eines ausgereifteren und abwechslungsreicheren Gunplays und Leveldesign.

Variante 2
Dazu kommt, dass es mir der Titel an mehreren Stellen unnötig schwer macht, im Flow zu bleiben. Das erste Level des Spiels habe ich knapp zehnmal hintereinander gespielt, auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad, um die »Flow-Hürde« so gering wie möglich zu halten. Und ja, Metal: Hellsinger fühlte sich besser an, je vertrauter ich mit diesem Level wurde. Trotzdem haben mich einige Entscheidungen im Spieldesign immer wieder aus dem Flow geholt.
Das Spiel zwingt mich dazu, den Flow auf dem Weg von Arena zu Arena aufrechtzuerhalten. Diese Wege sind schlauchartige Abschnitte, in denen in der Regel keine Gegner auf mich warten. Um den Multiplikator auf der höchsten Stufe zu halten, gibt mir das Spiel einen Waffe in die Hand, die kaum Schaden macht, dafür aber beim Schießen im Takt auf den Multiplikator einzahlt, selbst wenn ich keine Gegner treffe. Gleichzeitig flacht die Musik aber nach einem gewonnen Kampf kurz ab, wodurch es mir schwer fällt, weiter im Takt zu bleiben. Ein Level besteht entsprechend daraus, in den kurzen ruhigen Phasen in die Luft zu schießen, dann auf eine »richtige« Waffe beim Betreten der Arena zu wechseln, am Ende des Kampfes zu versuchen, nicht aus dem Takt zu geraten und dann wieder zur »Dummy-Waffe« zu greifen und weiter in die Luft zu schießen. Was für mich besser funktionieren würde, wäre die schlauchartigen Abschnitten zwischen den Arenen als Atempause zu nutzen und jeden Kampf dadurch für sich stehen zu lassen. So hätte ich zum einen nicht das Gefühl, »nicht gut durchs Level gekommen zu sein«, wenn ich einen Fehler mache, da ich beim nächsten Kampf die Gelegenheit hätte, es erneut zu versuchen. Zum anderen wirkt das Spieldesign rund um den immer hochgehaltenen Multiplikator teils erzwungen und krampfig.

Was mich aber noch stärker gestört hat, war das Ausweichen. Um nicht getroffen zu werden, ist das häufig unvermeidlich – besonders während der Bosskämpfe. Das Ausweichen funktioniert über eine eigene Taste und ist im Gegensatz zu anderen Aktionen, wie »Finishing Moves« im Nahkampf, einsetzbar, ohne den Takt treffen zu müssen. Gegner verfügen zwar über Körperteile, die im Takt blinken, stimmen ihre Angriffsmuster aber nicht auf die Musik im Hintergrund ab. Sie agieren wie Gegner in jedem anderen Ego-Shooter, indem sie sich ohne Rücksicht auf Verluste nähern, um mich im Nahkampf zu attackieren, oder sie positionieren sich clever und schießen mir alle möglichen Arten von Projektilen entgegen. Nun gebe ich mir als Spieler größte Mühe, beim Schießen und Nachladen konstant im Rhythmus des Liedes zu bleiben, muss dann aber immer wieder den eigenen Flow unterbrechen, um nicht getroffen zu werden. Intuitiv möchte ich im Rhythmus des Liedes ausweichen. Um nicht getroffen zu werden, muss ich das Ausweichen stattdessen auf die Angriffsmuster der Gegner abstimmen.
Das mag jetzt negativer klingen, als ich Metal: Hellsinger in Erinnerung behalten werde. Wie gesagt: In seinen besten Momenten ist es ein wirklich spaßiger Boomer Shooter mit musikalischem Kniff. Und für Metal-Fans dürfte das Spiel alleine wegen seines Soundtracks den Preis von knapp 30 Euro wert sein. Fast gleichzeitig erschien aber der Genrekollege Prodeus, den ich ebenfalls ausgiebig gespielt habe. Meine knapp zehn Stunden Spielzeit in Prodeus haben mich letztlich zur Frage gebracht: Braucht es Metal: Hellsinger eigentlich?
Prodeus – Blut mit Rhythmus

Prodeus ist kein Rhythmus-Shooter, und damit auf den ersten Blick nicht vergleichbar mit Metal: Hellsinger. Prodeus ist aber ein Shooter mit Rhythmus – einer, der seine Inspiration offen zur Schau stellt. Denn das Spiel ähnelt in vielen Aspekten Doom, Doom 64 (1997) um genau zu sein: Als Spieler schieße ich mich mit einem abwechslungsreichen Waffenarsenal durch Horden an Dämonen in Leveln, die sich am ehesten als grau-braune Matsche bezeichnen lassen – nur wird diese Matsche in Prodeus durch Neonakzente aufgelockert. Sogar die Gegnermodelle in Prodeus sind Sprite-basiert, sprich sie sind zweidimensionale Pixelkunstwerke, genau wie in Doom 64. Doch Prodeus wäre kein moderner Boomer Shooter, wenn es nicht mit Funktionen wie Checkpoints innerhalb eines Levels daherkommen würde. Ästhetische Limitierung aus den 90ern trifft moderne AAA-Spielerfahrung, so beschreibt es das zweiköpfige Entwicklerteam.
Ähnlich zu Metal: Hellsinger knallen mir auch in Prodeus metalesque Gitarrenriffs um die Ohren, sobald ich mich in den Kampf stürze. Und ähnlich zu Metal: Hellsinger geht es auch in Prodeus darum, in einen Flow zu kommen – seinen Rhythmus zu finden. Die Betonung liegt auf »zu finden«, denn während mir im einen Shooter der Rhythmus vom Spiel selbst vorgegeben wird, schafft es der andere, mich meinen eigenen Rhythmus finden zu lassen – meinen ganz persönlichen Flow, der sich von dem anderer Spieler:innen fundamental unterscheiden kann. Zu verdanken hat Prodeus das seinem in vielen Aspekten hervorragenden Spieldesign.
Im Gaming-Diskurs fällt immer wieder der Begriff »moment-to-moment gameplay«. Dahinter verbirgt sich der Kern des Spiels, also das, was ich als Spieler tatsächlich tue. In einem Shooter wie Prodeus ist es … schießen eben. Aber die Frage nach dem »moment-to-moment gameplay« ist feiner gefasst. Innerhalb des Shooter-Genres spielen sich schließlich nicht alle Spiele gleich. In Tom Clancy’s Rainbow Six: Vegas (2006) gehe ich taktisch vor, nutze Gadgets und schieße aus einer Deckung heraus. In Halo Infinite (2021) nutze ich alles, was mir die Umgebung zu bieten hat: von Gegnern fallengelassene Waffen, explodierende Behälter, Fahrzeuge und mehr. Und in Prodeus bemühe ich mich, konstant in Bewegung zu bleiben, treffe beim Betreten einer Arena in Sekundenbruchteilen die Entscheidung, welche Gegner ich priorisiere, und hinterlasse nichts als literweise Blut an den Wänden (Prodeus setzt auf eine meilenweit überspitzte Darstellung von Gewalt, aber das nur am Rande erwähnt).

Der Levelaufbau ist in Prodeus weniger restriktiv als in Metal: Hellsinger. In letzterem folgt stumpf Arena auf Arena. Dieser Aufbau existiert in Prodeus zwar ebenfalls, innerhalb der Kampagne habe ich aber immer wieder auch andere Arten von Leveln entdeckt: Mit einer Auswahl von Labyrinthen über (verhältnismäßig) große, offene Areale bis hin zu Herausforderungsmissionen zu einzelnen Waffentypen, die auf Geschwindigkeit ausgelegt sind, haben die Entwickler für Abwechslung gesorgt. Erstaunlich ist, dass die weniger linearen Level so gestaltet sind, dass ich intuitiv den richtigen Weg nehme – und das jedes Mal. Dazu kommt ein Fortschrittsystem, bei dem ich neue Waffen und Fertigkeiten über gefundene Erzbrocken freischalte.
Aber kommen wir zum eigentlichen Thema: Schon nach den ersten kurzen Leveln der sechs- bis siebenstündigen Kampagne, hat sich bei mir das Gefühl eingestellt, in einen Flow zu geraten, der mich einfach nicht mehr loslassen wollte. Dabei würde ich Shooter, erst recht Boomer Shooter, bei weitem nicht zu meinen Lieblingsgenres zählen.
Ein Level geht noch.
Okay, eins noch, dann aber ab ins Bett.
Nur noch ein letztes …
Warum Prodeus, hab ich mich dann gefragt, als ich mich endlich lösen konnte. Und weil ich am Tag davor Metal: Hellsinger beendet hatte, kam ich auf die Antwort und gleichzeitig auf die Idee hinter diesem Blogbeitrag: In Prodeus habe ich schnell einen eigenen Rhythmus aus Bewegung, Schießen, Nachladen und dem Wechseln der Waffe entwickelt – ähnlich zu Metal: Hellsinger. Doch hier war dieser Rhythmus etwas vager und damit weniger anfällig für Störungen. Was ich meine ist, dass ich Prodeus nicht auf den Takt der Hintergrundmusik spiele, sondern eine Art Tanz mit den feindlichen Dämonenhorden eingehe, bei dem ich führe und mein Tanzpartner – das Spiel – mir ständig versucht, auf die Füße zu treten. Denn natürlich versucht auch Prodeus, mich aus dem Takt zu bringen, zum Beispiel indem Gegner ihre langsam fliegenden Projektile so in meine Laufrichtung feuern, dass ich meine Bewegungen konstant darauf ausrichten muss. Werde ich getroffen, wird der Spielfluss aber nicht unterbrochen, da ich mich weiterhin frei bewegen, schießen und nachladen kann. Die Musik ballert fleißig weiter, und ich tue es ihr gleich. Nur wenn ich zu viel Schaden nehme und sterbe, endet der Flow.

Braucht es also ein Metal: Hellsinger, wenn die besten Vertreter unter den Boomer Shootern mich in einen Flow-Zustand versetzen, in dem ich meinen eigenen Rhythmus finden kann? Ja! Denn auch, wenn sich hinter Metal: Hellsinger ein im direkten Vergleich schlechterer Shooter verbirgt, ist der Fokus auf das Spiel mit der Musik in Shootern noch immer unverbraucht. Wenn alles zusammenkommt und Metal: Hellsinger zur vollen metallischen Größe auffährt, dann macht das Spiel – plump gesagt – einfach richtig Bock. Und durch seine eher kurze Spielzeit endet der Spaß, bevor ernsthafte Ermüdungserscheinungen eintreten.
Beide Spiele findet ihr Xbox Game Pass, auch auf PC. Boomer oder nicht, das Anspielen beider Titel lohnt sich allemal.