Michael Pitz
Hi-Fi Rush im Test: Original Xbox Vibes
Der Microsoft-Exklusivtitel Hi-Fi Rush ist für viele jetzt schon die Überraschung des Jahres. Erfahrt im Test, warum die ungewöhnliche Marketing-Strategie Microsofts voll auf geht und was Hi-Fi Rush zu einem grandiosen Actionspiel macht.

Hi-Fi Rush kam buchstäblich aus dem Nichts: Als jüngstes Spiel von Tango Gameworks wurde es am 25. Januar 2023 im Rahmen von Microsofts erster »Developer_Direct« Präsentation vorgestellt – und wenige Stunden später bereits veröffentlicht. Im Gaming-Diskurs fällt in einem solchen Zusammenhang häufig der Begriff Shadowdrop, womit die Veröffentlichung eines Spiels ohne zuvor angekündigtes Datum gemeint ist. Im Fall von Hi-Fi Rush war allerdings nicht nur der Zeitpunkt der Veröffentlichung vor dem Event unbekannt, sondern die gesamte Existenz des Spiels. Es gab weder Gerüchte noch Leaks – und das ist heutzutage eine ungewöhnliche und erfrischende Abwechslung.
Apropos »ungewöhnliche und erfrischende Abwechslung«: Kennern ist der Name des Entwicklerstudios im letzten Absatz ins Auge gesprungen. Tango Gameworks, sind das nicht die Köpfe hinter dem Horrorfranchise The Evil Within? Jap. Gegründet wurde das Studio von Resident-Evil-Schöpfer Shinji Mikami. Hi-Fi Rush ist in nahezu jedem Punkt das genaue Gegenteil von dem, was wir sonst von dem Entwicklerstudio gewohnt sind: Bedrückende Atmosphäre, schreckliche Monster und Schockmomente weichen einer Spielwelt voller Unbeschwertheit, schrulligen Figuren und ganz viel Musik.
High-Fi Rush: Actionspiel mit Rhythmus
Auf den ersten Blick wirkt Hi-Fi Rush wie ein typischer Vertreter des Action-Genres. Wie in Bayonetta (2009) oder Devil May Cry (2001) springt und kloppt ihr euch durch lineare Level und werdet hin und wieder mit einer Zwischensequenz belohnt, die die Geschichte vorantreibt. Hi-Fi Rush hebt sich jedoch in zwei Punkten grundlegend von den genannten Platzhirschen im Genre ab. Erstens setzt es auf die Ästhetik und den kindlichen Humor eines typischen Sonntagmorgen-Cartoons. Und zweitens ist Hi-Fi Rush kein normales Actionspiel, denn es ist rhythmusbasiert.

Kämpfen, springen – sogar die Kampfchoreographien in Zwischensequenzen, auf die Spieler gar keinen Einfluss nehmen können, laufen im Takt ab. Auch in der Spielwelt selbst dreht sich alles um Musik: Zum Beispiel das Blinken von Lampen und Bewegen von Aufzügen oder schwebenden Plattformen geschieht im Rhythmus zu Songs begabter Künstlerinnen und Künstler wie Nine Inch Nails, The Black Keys, The Prodigy und The Joy Formidable.
Die Geschichte: Megakonzerne stürzen mit Stil
Das Setting und die Geschichte von Hi-Fi Rush sind schnell erklärt: Der spielbare Held Chai ist – vorsichtig formuliert – ein ziemlicher Depp. Er hängt dem Tagtraum nach, irgendwann als Rockstar die Konzerthallen der Welt zu füllen – wäre da nicht sein verletzter Arm. Um seinem Traum ein Stück näher zu kommen, nimmt er am »Project Armstrong« teil, bei dem ihm ein neuer, kybernetischer Arm verpasst wird. Bei der Operation geht (natürlich) etwas schief, wodurch dem Helden sein MP3-Player in die Brust verpflanzt wird. Ab jetzt besteht die gesamte Welt für Chai aus Musik. Klingt nach Quatsch, ist es auch. Aber Quatsch, der Spaß macht – ganz im Sinne eines Sonntagmorgen-Cartoons eben.

Stattgefunden hat die Operation auf dem Campus von Vandelay Technologies, der mit seinen unzähligen Roboter-Arbeitskräften eher an eine gigantische Fabrik erinnert. Chai gilt nach dem missglückten Eingriff als »defekt« und wird prompt von den (ebenfalls robotischen) Sicherheitskräften des Campus attackiert. Mithilfe seiner elektromagentischen Armprothese kloppt er sich im Takt durch eine Gruppe an Robotern nach der nächsten und flieht schließlich mithilfe der Hackerin Peppermint vom Gelände des Campus.
Ab hier entwickelt sich eine von Klischees durchsetzte aber zu jedem Zeitpunkt unterhaltsame Geschichte rund um das geheime Projekt eines Megakonzerns, der nach mehr und mehr Macht strebt. Klingt nach Kapitalismuskritik; irgendwie ist es das auch, doch steht diese zu keiner Zeit im Vordergrund. Hi-Fi Rush möchte kein Statement setzen, Hi-Fi Rush möchte einfach Spaß machen. Neben dem Gameplay sorgen dafür auch die schrulligen Figuren.

Die Figuren: Ein Cast zum Verlieben
In den knapp zehn Stunden, die ich zum Durchspielen von Hi-Fi Rush gebraucht habe, ist mir der schrullige Cast an Figuren wirklich ans Herz gewachsen. Vor allem Protagonist Chai mit seiner ungebrochenen Naivität und dem Selbstbewusstsein eines Superhelden ist durch und durch liebenswert. Was er nicht kann, ist die Klappe halten – vor allem dann, wenn es zählt. Sein loses Mundwerk manövriert ihn und seine Rebellengruppe rund um Anführerin Peppermint von einer brenzligen Situation in die nächste.
Während er ein ums andere Mal in die Anlagen des Industriekomplexes von Vandelay Industries einbricht, wird er von 808 begleitet, einer Roboterkatze. An dieser Stelle sei direkt verraten, was für die meisten von Euch das entscheidende Kaufkriterium sein dürfte: Ja, die Katze kann gestreichelt werden, nämlich immer dann, wenn sich Chai zwischen zwei Missionen im Hauptquartier ausruht.

Weder der Cast an Helden noch die Gruppe böser Konzernvorstände, der wir das Handwerk legen müssen, hat eine besondere charakterliche Tiefe. Trotzdem ist jede Figur auf ihre individuelle Art schräg und vor allem greifbar, sodass sie im Gedächtnis bleibt. Lässt man sich nur ein wenig darauf ein, fällt es leicht, mit dem tollpatschigen Chai mitzufiebern und sich immer wieder über dessen Ausrutscher zu beeimern.
Wer sich weder für den Cartoon-Look der Spielwelt noch die überspitzten Figuren begeistern kann, kann die Geschichte einfach überspringen und sich ins Getümmel stürzen. Und das rockt – wortwörtlich!
Das Gameplay: Im Rhythmus auf Highscore-Jagd
Die Sache mit Rhythmus-Spielen wie Guitar Hero (2005) oder Crypt of the Necrodancer (2015) ist: Entweder sie liegen einem … oder eben nicht. Viele Menschen ohne Rhythmus-Gefühl finden (verständlicherweise) wenig Freude an Titeln, bei denen sie die Grundvoraussetzung einfach nicht mitbringen. Hi-Fi Rush ist zwar keine Revolution des Genres, die Rhythmus-Spiele absolut allen zugänglich macht, aber es zählt zu den einsteigerfreundlichsten Vertretern.
Das liegt insbesondere daran, dass gutes Timing zwar belohnt, schlechtes Timing aber kaum bestraft wird. Drückt ihr die Angriffstasten nicht im Takt, geht ihr mit weniger Punkten und Schrottteilen (die Währung des Spiels) aus einem Level. Von letzterem erhaltet ihr aber trotzdem genug, um Chai regelmäßig mit neuen Angriffen, mehr Lebensenergie und weiteren Verbesserungen zu versorgen. Viel auffälliger ist, dass Chai (und seine Gegner) im Takt angreifen, selbst wenn ihr als Spieler die Eingaben für Angriffe nicht punktgenau liefert. Dadurch behalten die Kämpfe trotz eigener Patzer einen angenehmen Flow, der nur dann gebrochen wird, wenn ihr aufgrund der teils suboptimalen Kamera den Überblick verliert und euch neu orientieren müsst.
Wer Probleme mit dem korrekten Timing hat, findet Hilfe in der Spielwelt in Form visueller Hinweise. Wie bereits erwähnt, bewegt, blinkt, wippt und zuckt alles um den Helden herum im Takt. Ist das nicht genug, lässt sich in den Optionen eine weitere Hilfe einstellen: eine große, dauerhaft eingeblendete Anzeige am unteren Bildschirmrand, die den Beat angibt. Was mir negativ aufgefallen ist, ist, dass die Musik in besonders hektischen Kämpfen teils von den Kampfgeräuschen überlagert wird. Das Problem lässt sich aber leicht beheben, indem man die Musik im Verhältnis zu allen anderen Geräuschen einfach lauter dreht.

Die Kämpfe sind in den ersten beiden Leveln angenehm simpel. Während ihr kurze Kombos aus leichten und schweren Schlägen aneinanderreiht und den zaghaft angreifenden Gegnern ausweicht, könnt ihr euch in Ruhe an das recht eigene Spielgefühl gewöhnen. Die erste Kombo, die ihr lernt, besteht auf vier aufeinander folgenden leichten Schlägen, die ihr auf die vier nächsten Beats abstimmt. Tak, tak, tak, tak. Schwere Schläge benötigen jeweils zwei Beats: Tak, warten, tak, warten, tak, warten, tak, warten. Eigentlich ganz simpel.
In einem angenehmen Tempo nehmen die Kämpfe an Fahrt auf und werden um immer mehr Spielmechaniken erweitert. An einem Punkt lernt ihr, zu kontern. Dadurch achtet ihr automatisch noch stärker auf die Angriffe eurer Gegner und versucht, im richtigen Moment (natürlich im Takt) einen Konter auszuführen. Gelingt das, bleiben Gegner für einen Moment stehen – der ideale Zeitpunkt, mit Chai ordentlich auszuteilen. Gut gefallen hat mir auch, wie konsequent Hi-Fi Rush mit neu gelernten Mechaniken umgeht. Diese sind keine optionalen Möglichkeiten, die ich einsetzen kann oder nicht; manche Gegnertypen können beispielsweise nur besiegt werden, indem ich ihre Angriffe kontere.
Auch für ausreichend Abwechslung im Gameplay ist gesorgt. Zwischen den Kampfarenen sammlt ihr fleißig Collectibles, die beispielsweise die maximale Lebensenergie von Chai erhöhen; ihr springt von Plattform zu Plattform und nutzt die Fähigkeiten eurer stetig wachsenden Gruppe an Komplizen, um Geschlicklichkeits-Abschnitte zu überwinden; und immer wieder fliegt ihr in On-Rails-Passagen durch die knallbunten Areale und weicht schnell näherkommenden Rohren, Containern und sonstigen Hindernissen aus.

Was mich leicht gestört hat, war das langsame Lauftempo des Helden sowie der Umstand, dass sich die Sprungpassagen nie so gut anfühlen wie in richtig guten Plattformern. Zugegeben, der Fokus von High-Fi Rush liegt ganz klar auf den Kämpfen. Trotzdem hätte ein bisschen mehr Feinschliff an dieser Stelle gut getan. Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau.
Fazit: Spielt den gleichen Song noch mal!
Hi-Fi Rush ist ein durch und durch gelungenes Spiel. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum Gespräche zum jüngsten Microsoft-Exklusivtitel auf Twitter, Reddit und Co. auch zwei Wochen nach Veröffentlichung nicht abebben. Dass niemand mit dem Actionspiel rechnen konnte, weil es zeitgleich vorgestellt und veröffentlicht wurde, hat verhindert, dass sich auf besagten Social-Media-Plattformen ein negatives Momentum bilden konnte. Schließlich ist Hi-Fi Rush nicht das, was sich viele Spielerinnen und Spieler von Microsoft wünschen: ein Blockbuster-Spiel, das es mit Sonys Exklusivtiteln wie The Last of Us Part II (2020) oder God of War Ragnarök (2022) aufnehmen kann. Es ist vielmehr ein kleiner, fokussierter Titel, der seine Stärken ausspielt, ohne zu viel zu wollen.

Es ist auch ein Spiel, das mich mit seinem ersten Trailer im Rahmen der Developer_Direct nicht direkt überzeugt hat. In der anschließenden tiefergehenden Vorstellung konnten die Entwickler das rhythmusbasierte Gameplay dann aber in aller Ruhe und in der nötigen Tiefe präsentieren. Spielern direkt im Anschluss die Möglichkeit zu geben, Hi-Fi Rush selbst zu testen, hat verhindert, dass der letztlich recht nischige Titel zu schnell aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist. Ab hier haben die Qualitäten von Hi-Fi Rush – insbesondere das Kampfsystem, der Cartoon-Style und die einprägsamen Figuren – viele so sehr überzeugt, dass das Spiel schon jetzt als Anwärter für etliche Spiel-des-Jahres-Auszeichnungen gehandelt wird.
Dass das am Ende tatsächlich so eintreffen wird, ist unwahrscheinlich. Erstens ist 2023 gerade einmal einen Monat alt, zweitens stehen noch potentielle Spiele-Highlights wie Starfield, Final Fantasy XVI und The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom ins Haus. Wichtig sind Auszeichnungen für Hi-Fi Rush ohnehin hin nicht, denn es hat bereits jetzt seinen Zweck erfüllt: Die Verkaufszahlen stimmen, Kritiker und Spielerschaft überschlagen sich mit Lob und Microsoft konnte endlich zeigen, dass die zuletzt akquirierten Entwicklerstudios ihr Geld wert waren.
Wertung: 9 / 10
Hi-Fi Rush ist ein hervorragender Rhythmus-Klopper, der mit seinem Fokus auf Gameplay und Spielspaß den gleichen Charme versprüht wie Spiele-Highlight der ersten Xbox-Generation. Bravo, Tango Gameworks.
Quelle aller Bilder des Beitrages: Screenshots aus Hi-Fi Rush, Bethesda Softworks 2023.